Wie alles begann…

Der Artikel ist in der Zeitung des Verbandes „Selbsthilfe-Auto Aiuto“ Nr. 2/2016 erschienen. Autor: Lorenz

Vor 15 Jahren absolvierte ich meinen Zivildienst in einer sozialen Einrichtung. Plötzlich merkte ich, wie sich alles auf mich bezog: Die vorbeifahrenden Autos hatten Symbolcharakter für mich, jedes Ruckeln des Zuges war auf mich bezogen. Dem Impuls, jeder Wahrnehmung nachzugehen, war sehr stark. Doch ich merkte auch, dass dies ein pathologisches Verhalten sein konnte. Ich versuchte alles zu verdrängen, ganz nach dem Motto „mir darf das nicht passieren“ und „ich bekomme das unter Kontrolle“. Keinesfalls wollte ich zum Arzt.

So lebte ich ein Jahr lang in zwei Welten: In der realen und in einer psychotischen Welt, deren Ruf ich auch folgen musste. Schließlich wurde die-se für mich genauso real, wie z. B. die Angst vergiftet oder verfolgt zu werden. Danach folgten einige sehr großformatige Projekte, in denen ich von der Öffentlichkeit und meiner Familie durchaus ernst genommen wurde. Meine Begeisterung, meine gewaltige Fähigkeit in dieser Phase Leute mitzureißen, öffnete mir Türen, die mir sonst wohl sicher verschlossen geblieben wären.

Darauf folgte sehr bald die Erkenntnis, dass ich mich in Luftschlösser verrannt hatte.

Die Scham und Verzweiflung darüber führten mich in eine tiefe Depression. Ich konnte keinem regelmäßigen Tagesablauf mehr nachgehen, traute mich nicht mehr unter die Leute und verbrachte den Großteil meiner Zeit im Bett.

Erst bei einem Praktikum in einer anderen sozialen Einrichtung wurde meine Krankheit erkannt. Ich wollte wieder alles verändern, erzählte viele Geschichten, machte Projekte. Dies führte dann zu einer Zwangseinweisung. Danach folgten noch sehr viele manische Phasen, auch mit Zwangseinweisung. Diese brachten meine berufliche Kontinuität sehr durcheinander.

Heute komme ich mit der Krankheit sehr gut klar. Ich bin medikamentös gut eingestellt und habe mein eigenes Frühwarnsystem. Ich beobachte mich sehr genau. Sobald zum Beispiel die ersten Symptome einer manischen Phase, wie Schlaflosigkeit, Rastlosigkeit der Gedanken oder Unruhe auftauchen, erhöhe ich – nach Absprache mit meinem Psychiater – die Medikamente und ziehe mich in absolute Reizarmut zurück.

Wichtig ist dabei, die Veränderung der Stimmungslage nicht zu verdrängen, sondern zu akzeptieren ohne ihr große Bedeutung beizumessen, sodass sie keine Eigendynamik bekommt. Bei Stimmungsveränderungen ins Depressive wie Lustlosigkeit, Kraftlosigkeit, Antriebslosigkeit und Müdigkeit, versuche ich auch den Stimmungszustand vollständig zu akzeptieren und zuzulassen. Die Gratwanderung zu schaffen, einerseits die Stimmung wahrzunehmen und ihr einen Raum zu geben, aber ihr trotzdem nicht so viel Bedeutung beizumessen, dass sie sich zu einer vollständigen Depression weiterentwickelt, ist anspruchsvoll. Ein sich langsam steigernder Tätigkeitszuwachs, immer der Stimmung angemessen, kann von der depressiven Verstimmtheit ablenken, bzw. sie langsam im Keim ersticken. Für etwaige Selbstmordgedanken habe ich meinen speziellen Trick. Da denke ich mir: „Das kann ich morgen auch noch machen.“ Und am nächsten Tag ist im Regelfall immer alles besser. Auch die Telefonseelsorge hat mir oft große Dienste erwiesen.

Im Arbeitsalltag reiße ich mich sehr zusammen, da merkt niemand etwas von meinen Schwierigkeiten. Jedoch ist bei mir oft der Freitagabend problematisch, da kommt gerne alles hoch, da ich von der Arbeit loslassen kann.

So sehe ich mein Leben als relativ wenig von der bipolaren Störung eingeschränkt und kann sehr gut damit umgehen.