Der Text stammt aus der Informationsbroschüre „Psychische Gesundheit im Kindes- und Jugendalter“, herausgegeben im Jahr 2014 vom Verband Ariadne und der Autonomen Provinz Bozen, Amt für Krankenhäuser unter der Mitarbeit von Veronika Hafner, Donatella Arcangeli, Luigi Basso, Irene Berti, Giovanni Cappello, Andreas Conca, Giulia Parolin, Roger Pycha und Georg Vallazza.
Ängste kommen bei Kindern häufig vor. Die unterschiedliche Art von Ängsten hängt mit den jeweiligen Entwicklungsphasen zusammen. Viele Ängste klingen wieder ab, bei manchen Kindern aber verfestigen sich die Angstthemen, und es braucht eine therapeutische Intervention.
Zu den Angststörungen gehören:
– Trennungsangst (mit Ängsten um die Bezugsperson/en)
– generalisierte Angststörung
– Panikstörung
– spezifische Phobien (wie z. B. Spinnenphobie …)
– soziale Phobie
Ängste, die entwicklungsbedingt auftreten und keinen Krankheitswert haben
Zwischen dem 6. und 8. Lebensmonat zeigen sich bei Kindern Trennungsängste durch kurzfristige Trennung von der Bezugsperson. Kinder weinen dann gleich, werden unruhig, rufen nach der Bezugsperson oder versuchen ihr zu folgen. In der frühen Kindheit zeigen sich häufig spezifische Ängste vor Gegenständen oder Situationen. Dies hängt auch mit dem kleinkindhaften Weltbild zusammen und mit der Fähigkeit des Kindes zur Verlebendigung von Leblosem (Anthropomorphismus). Ängste vor Tieren findet man sehr oft bei dreijährigen Kindern während vierjährige Kinder eher Angst vor der Dunkelheit und später Ängste vor Fantasiegestalten, Geistern und Monstern haben.
Mit Schulbeginn beziehen sich die Ängste auf die Schule und Leistungen, aber auch auf soziale Beziehungen. In der Adoleszenz richten sich die Ängste mehr auf den eigenen Körper und mögliche Verletzungen sowie auf Sozialkontakte, während die Ängste um Feuer, Wasser, Dunkelheit abnehmen.
Zur Entstehung von Ängsten gibt es die psychoanalytische Sichtweise, wobei Ängste ein Ausdruck von inneren Konflikten sein können oder die Ängste in Verbindung mit Trennungserfahrungen gesehen werden, die lerntheoretische Sichtweise, wobei Ängste durch Lernerfahrungen bedingt werden, die existentialistische Tradition, die besagt, dass Ängste grundsätzlich mit der Lebenserfahrung des Menschen zu tun haben, sowie andere Theorien, welche unterstreichen, dass sich klinisch relevante Angst nur durch die Quantität von der normalen Angst hervorhebt.
Als übergeordnetes Modell gibt Rachmann drei mögliche Ursachen der Angst an:
1. Angst durch Konditionierung (negative Erfahrung),
2. Angst durch Beobachtung an Modellen (die Angst wird von einer anderen Person übernommen)
3. und Angst durch Informationen.
Man vermutet allgemein, dass es eine genetische Prädisposition für Ängste gibt. Es bestehen also Zusammenhänge zwischen genetischen Faktoren und außergewöhnlichen Belastungen durch das Umfeld.
Entwicklungsbedingte Ängste sind bei Kindern in 90 % vorübergehend. Allerdings können in einem geringen Maße (bis zu 10 %) diese Ängste in eine umschriebene Angststörung und/oder affektive Störung im Jugendalter, respektive Erwachsenenalter, übergehen.
Zur Behandlung bzw. Prävention von Angststörungen
Wenn die Ängste nicht schwerwiegend sind, kann ein verständnisvoller, unterstützender Umgang mit Kindern viel helfen und das Kind in belastenden Situationen auffangen. Kinder, die zu Ängstlichkeit neigen, versuchen bestimmte Situationen zu meiden. Dies ist allerdings auf Dauer ungünstig, da sich der Freiraum des Kindes zunehmend einschränken würde.
Im Falle einer Angststörung empfiehlt sich eine spezifische Psychotherapie. Ein unterstützendes und aufbauendes Verhältnis zu Bezugs- und Fachpersonen ist ausschlaggebend für positive Veränderungen und für eine schrittweise Konfrontation mit dem gefürchteten Objekt bzw. mit der gefürchteten Situation.
Ein positiver Umgang mit diesen angstauslösenden Situationen und Objekten kann z. B. über Videodemonstrationen erlebt werden, über Selbstkontrolle negativer Gedanken und über Verstärkung durch Belohnung bei Annäherung und kompetentem Umgang mit der schwierigen Situation bzw. mit dem gefürchteten Objekt. Betroffene werden auch, wenn nötig, medikamentös unterstützt.
Genaueres zur Trennungsangst
Mit Trennungsangst als Krankheit ist nicht die Angst des Babys im Alter zwischen dem 6. und 8. Monat gemeint, die entwicklungsbedingt ist und keiner Behandlung bedarf. Die Trennungsangst ist eine Angststörung, die typischerweise im Kindergartenalter oder Schulalter auftritt und eine für dieses Alter auffallende Angst vor Trennung von den wichtigen Bezugspersonen beinhaltet. Im Vordergrund steht die große Sorge, dass den Bezugspersonen etwas Schlimmes zustoßen könnte und somit die Trennung für immer sein könnte. Kinder weigern sich dann, das Zuhause zu verlassen, in den Kindergarten oder in die Schule zu gehen und klammern sich in ihrer Verzweiflung an Gegenständen in der Wohnung fest. Diese Kinder haben auch großes Heimweh in Ferienzeiten, denken ständig an Zuhause, können nicht schlafen, essen kaum und werden apathisch.
Generalisierte Angststörung (auffallende Ängstlichkeit und Beunruhigung)
Der Beginn dieser Angststörung ist erst allmählich nach der frühen Kindheit beobachtbar. Betroffene Kinder vermeiden oft die Situation als Bewältigungsstrategie, was die Ängste aber nicht reduzieren kann. Angstbesetzte Themen dabei sind: Schularbeiten, mögliche Krankheiten und Unglücksfälle oder auch unangemessene Selbstvorwürfe. Verbunden mit den Ängsten sind oft: Tendenz zu Perfektionismus Einnahme einer Außenseiterrolle (wenig Kontakt zu Gleichaltrigen), körperliche Beschwerden (Kopfweh, Bauchschmerzen), Unsicherheit und Abneigung im Mittelpunkt zu stehen.
Panikstörung
Die Panikstörung ist gekennzeichnet durch plötzliche Angstanfälle mit starken körperlichen Reaktionen. Diese körperlichen Symptome werden zudem als etwas Bedrohliches und Belastendes erlebt. Der Panikzustand tritt wie aus heiterem Himmel auf und kommt vorwiegend bei Erwachsenen vor. Untersuchungen belegen aber, dass bereits Mädchen in der Pubertät von Panikattacken betroffen waren. Bei Fallberichten über Panikattacken von kleineren Kindern lag meistens auch eine Trennungsangst vor.
Spezifische Phobien
Phobien sind intensive Angstreaktionen auf Objekte oder Situationen. Zu beobachten sind außerdem körperliche Reaktionen wie starkes Schwitzen oder Erhöhung der Herzfrequenz. Betroffene Kinder weinen oder schreien dann plötzlich oder klammern sich an die Bezugsperson. Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen. Angstauslösende Themen sind: Angst vor Tieren, vor der Schule, der Dunkelheit, vor Verletzungen, vor Blutabnahme oder Spritzen, vor dem Zahnarzt …
Sozialphobie
Bei der Sozialphobie sind Kinder und Jugendliche einer andauernden und unangemessenen Angst vor sozialen Situationen ausgesetzt. Sie fürchten sich davor, in der Öffentlichkeit zu essen oder zu sprechen oder Bekannte auf öffentlichen Veranstaltungen zu treffen und sich peinlich zu benehmen oder aufzufallen. Sehr oft treten die angstauslösenden Situationen in der Schule auf (bei Referaten oder in Prüfungssituationen). Symptome sind u. a. Erröten oder Zittern, Angst vor Erbrechen, Stuhl- oder Harndrang. Beginn der Störung findet man bei 11- bis 13-Jährigen, in Einzelfällen auch schon ab 8 Jahren.
Posttraumatisches Stresssyndrom
Lebensbedrohliche Ereignisse (wie Autounfälle, Schiffskatastrophen, Erdbeben …), die Gefühle der Furcht und Hilflosigkeit auslösen, können anhaltende psychische Belastungen zur Folge haben. Betroffene kommen dann von den negativen Erlebnissen nicht los und leiden unter den immer wiederkehrenden Erinnerungen. Außerdem werden Situationen vermieden, die in Verbindung mit den belastenden Erlebnissen stehen. Man spricht in diesem Fall von posttraumatischen Stresssyndromen.
Symptome
Durch die belastenden Ereignisse werden Betroffene unruhiger, sind weniger belastbar, haben Schlaf- und Konzentrationsstörungen, sind reizbar und schreckhaft. Die Erinnerungen treten oft vor dem Einschlafen auf. Deshalb zeigt sich verstärkt Angst vor der Dunkelheit und Angst vor Trennung von den Bezugspersonen. Die Kinder möchten einerseits von dem Ereignis reden, andererseits haben sie Angst davor. Manche Kinder haben depressive Verstimmungen und Schuldgefühle, andere sind gereizt und ärgerlich.
Behandlung
Altersgerechtes, gemeinsames Durchsprechen der negativen Erlebnisse mit Hilfe einer Fachkraft hilft den Kindern, das Ereignis zu verarbeiten. Dabei versucht man, die Erfahrungen und Gefühle zu beschreiben. Wenn eine Gruppe von Kindern gemeinsam einer Bedrohung ausgesetzt war, ist es sinnvoll, die Kinder in der Gruppe zu behandeln, bei größeren Belastungen einzelner Kinder sollte auch Einzeltherapie angeboten werden. Das Ziel sind eine Desensibilisierung der Belastungen und ein Abklingen der schmerzhaften Gefühle, sowie Entspannung und Hinführung zu ablenkenden Gedanken.