Der Text stammt aus der Informationsbroschüre „Psychische Gesundheit – was ist das?“, Seite 43 bis 49, herausgegeben im Jahr 2009 von der Autonomen Provinz Bozen, Amt für Gesundheitssprengel (2. überarbeitete Auflage).

Schizophrenie: Was ist das?
Die Schizophrenie ist die am schwersten begreifbare psychische Störung. Deshalb wird ihr häufig mit Ängsten, Vorurteilen und Ausgrenzung begegnet. Das Wort “schizophren” kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet “im Bewusstsein gespalten”. Tatsächlich erleben Menschen, die an Schizophrenie leiden, neben der Wirklichkeit, die uns allen zugänglich ist, eine zweite Welt: In dieser hören sie Stimmen, die sonst niemand hört, und entwickeln Gewissheiten, die niemand mit ihnen teilt. Solche Überzeugungen (zum Beispiel verfolgt, beobachtet oder auch geliebt zu werden), die der Wirklichkeit eindeutig widersprechen, nennt man Wahn. Die Auseinandersetzung mit dieser zweiten Welt wird für Betroffene und ihre Familien sehr schwierig. Die Erkrankten sind sicher, dass all ihre “paranormalen” Erlebnisse und Überzeugungen der Wirklichkeit entsprechen.

Schizophrene können meist nicht glauben, dass sie krank sind. Sie suchen deshalb oft auch nicht Hilfe. Sie reagieren des Öfteren sehr ärgerlich darauf, dass man ihre Wahnwelt nicht ernst nimmt, und können lange Zeit nicht einsehen, dass andere ihre Erlebnisse nicht teilen. Anderseits raubt ihnen die dauernde Beschäftigung mit ihrer Wahnwelt Zeit, Kraft und Konzentration. Angehörige hingegen können lange nicht verstehen, dass ihr Familienmitglied an einer “geisterhaften” Erkrankung leidet, bei der es zeitweilig unauffällig wirkt und dann wieder völlig abwesend, bizarr oder ferngesteuert. Tatsächlich kann die Schizophrenie leicht oder schwer sein, plötzlich auftreten oder so allmählich, dass sie fast nicht bemerkt wird. Sie kann in Heilung oder dauernde Beeinträchtigung münden. Das Verhalten der Betroffenen kann durch Wahnerlebnisse und Konzentrationsstörungen unberechenbar werden.

Zeichen der Schizophrenie

Von Schizophrenie spricht man, wenn mindestens eines der Zeichen 1–4 und zwei der Zeichen 5–8 mindestens einen Monat lang bestehen:

  1. Eindruck, die eigenen Gedanken werden von jemandem entzogen oder eingegeben, breiten sich auf andere Menschen aus oder können von allen gehört werden.
  2. Der eigene Körper, bestimmte Bewegungen, aber auch eigene Gefühle oder Gedanken sind “ferngesteuert” oder von Unbekannten kontrolliert, zum Beispiel über Hypnose oder Bestrahlung.
  3. Hören von Stimmen, die über den Betroffenen dauernd sprechen, seine Handlungen kommentieren, ihm Befehle erteilen oder ihn beschimpfen (akustische Halluzinationen). Diese Stimmen können bekannt oder unbekannt sein, von weit her oder aus Teilen des eigenen Körpers kommen.
  4. Bizarre Gewissheiten, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben (Wahn), wie zum Beispiel die Sicherheit, von Dämonen und Geheimdiensten verfolgt zu werden, in Kontakt mit Außerirdischen zu stehen, die Zeit anhalten oder das Wetter machen zu können, der Papst oder ein politischer Führer zu sein.
  5. Betroffene spüren im Körper oder sehen, riechen, schmecken, tasten bizarre Ereignisse, die in Wirklichkeit nicht stattfinden – man spricht von Halluzinationen.
  6. Gedanken reißen plötzlich ab, werden durch “fremde” Einschübe ersetzt, das Denken “tut weh”. Die Sprache wird unzusammenhängend, die Argumente sind nicht mehr logisch verknüpft.
  7. Hellwache Erstarrung und Reaktionslosigkeit, Stunden langes Verbleiben in unbequemen und unnatürlichen Stellungen, Erregungszustände, Verstummen. Diese primitiven Verhaltensweisen treten auf, wenn Betroffene unter schwerem Erlebnisschock stehen, weil sie zum Beispiel den Weltuntergang erleben.
  8. Interesselosigkeit, Mangel an Gefühlen oder Gefühle, die nicht zur Situation passen (Lachen oder Witzeln in traurigen Situationen), Menschen- und Kontaktscheu, Angst vor neuen Situationen, Trägheit und Ziellosigkeit, Verwahrlosung und mangelnde Körperpflege.

Meist können oder wollen Betroffene nur unklar über ihr Erleben Auskunft geben. Ihr Verhalten im Alltag legt aber nahe, dass etwas Wesentliches nicht mehr stimmt. Die Schizophrenie ist eine Störung des Denkens und der Wahrnehmung. Häufig passen auch die empfundenen Gefühle nicht zur Situation.

Schizophrenie ist keine „Zivilisationskrankheit“
Überall auf der Welt erkrankt circa 1 Prozent der Bevölkerung an Schizophrenie, unabhängig von Rasse, Kultur und sozialem Stand. An Schizophrenie Erkrankte ertragen ihre Erlebnisse oft nur mit größten Ängsten und beenden ihr Leben vierzig Mal häufiger durch Suizid als der Durchschnitt der Bevölkerung. Sie benötigen deshalb besonders intensive Betreuung und viel Verständnis. Die Erkrankung beginnt meist im frühen Erwachsenenalter (kann aber auch bereits Schulkinder betreffen). Zwei Dritteln aller an Schizophrenie Erkrankten kann heute wesentlich geholfen werden, manchmal bis hin zur vollständigen Heilung. Spätheilungen sind auch nach Jahrzehnten noch möglich. Ein Drittel der Betroffenen bleibt hingegen chronisch krank. Die Kosten der Schizophreniebehandlung betragen in den westlichen Ländern 2 bis 3 Prozent aller Ausgaben des Gesundheitswesens. Damit ist die Schizophrenie eine der teuersten Erkrankungen.

Die Schizophrenie hat viele Gründe
Eine vererbte Anfälligkeit ist bei der Schizophrenie gesichert, führt aber meist nicht allein zum Auftreten der Erkrankung. Als Verstärker wirken ungünstige Beziehungsmuster in der Kindheit, Auslöser sind jede Art von seelischem oder sozialem Stress. Nicht zufällig erkranken viele Männer beim Militär, viele Frauen während der Schwangerschaft. Aber auch Pubertät, Berufseintritt, Liebesenttäuschungen oder Konflikte können eine schizophrene Erkrankung auslösen.

Aus der Hirnforschung weiß man, dass während der Erkrankungszeiten anregende Botenstoffe in einzelnen Zentren des Gehirns vermehrt produziert werden. Dadurch entstehen zusätzliche Signale und Eindrücke, die nur mit der gesteigerten Funktion des Gehirns, aber nichts mit der äußeren Wirklichkeit zu tun haben. Gleichzeitig ist die Tätigkeit von Zentren im Stirnhirn, die zwischen eigenen und fremden Reizen unterscheiden, gedrosselt. Schizophren Erkrankte können wahrscheinlich deshalb zwischen Wirklichkeit und Vorstellung schlecht unterscheiden. Sie sind vorübergehend “dünnhäutig” und für Stress sehr anfällig.

Die Schizophrenie kann heute sehr gezielt und erfolgreich behandelt werden
Je plötzlicher die Erkrankung auftritt, und je erschütterter der Betroffene reagiert, desto größer sind die Aussichten auf vollständige Heilung. Bei schleichendem Verlauf kann es hingegen sehr schwer sein, den Betroffenen überhaupt zu einer Behandlung zu motivieren, weil er sich nicht krank fühlt. Häufig suchen Angehörige Hilfe, wenn sie das eigenartige Verhalten der Erkrankten nicht mehr ertragen.

Der Hausarzt ist der erste Ansprechpartner und Berater, gerade auch für die Nöte der Familie. Der Psychiater kann eine schizophrene Erkrankung am besten erkennen und behandeln. In vielen Fällen wird eine Einweisung an eine psychiatrische Abteilung notwendig sein, unter Umständen sogar gegen den Willen des Betroffenen. Die weitere Behandlung oder Rehabilitation erfolgt mit Hilfe eines Teams, in dem verschiedene Berufsbilder zusammenwirken (Psychiater, Psychologen, Krankenpfleger, Ergotherapeuten, Sozialassistenten, Betreuer, Erzieher usw.).

Antipsychotische Medikamente sind während der akuten Erkrankung sehr wirksam. Sie bringen Wahn und Halluzinationen zum Abklingen und verbessern die Konzentration. Allerdings können sie auch Denk- und Bewegungsabläufe verlangsamen, Gewichtszunahme oder Bewegungsstörungen verursachen. Antipsychotika machen nicht abhängig. Sie verdrängen im Gehirn aktivierende Botenstoffe von einem Teil ihrer Bindungsstellen. Dadurch gleichen sie die Überproduktion dieser Botenstoffe aus und wirken wie “Filter”, die vor dem krankmachenden Zuviel an Information schützen. Wegen der Rückfallgefahr sollen kleine Mengen Antipsychotika regelmäßig ein bis fünf Jahre nach jeder akuten Erkrankung (Psychose) weiter genommen werden.

Reizabschirmung, viel Schlaf und ruhige Umgebung helfen ebenfalls, die akute Schizophrenie zum Abklingen zu bringen. Bei einer seltenen, lebensgefährlichen Form der Schizophrenie (perniziöse Katatonie) muss zur Lebensrettung unverzüglich die Elektrokonvulsionsbehandlung begonnen werden.

Wenn die Erkrankung chronisch wird…
…benötigt der Betroffene vor allem rehabilitative Maßnahmen. Er wirkt dann einsilbig, interessenarm, menschenscheu und entscheidungsschwach. In geeigneten psychiatrischen Zentren lernt er durch tägliche Übung, wieder mit anderen Menschen zusammenzuleben, den Tag richtig einzuteilen, die persönliche Hygiene zu pflegen, einer Beschäftigung nachzugehen und die Freizeit sinnvoll zu gestalten. Auf diesem Weg begleitet ihn ein Team von Fachleuten der Rehabilitation.

In der Ergotherapie lernt er, seine schwer zu schildernden Erlebnisse kreativ und künstlerisch auszudrücken (Malen, Zeichnen, Töpfern) und übt sich in Konzentration (Basteln, handwerkliche Tätigkeit). Psychotherapie, Musiktherapie, körperorientierte Therapien (Sport und Gymnastik) und therapeutischer Umgang mit Tieren (z. B. therapeutisches Reiten) fördern die Kontaktfähigkeit, stärken das Selbstbewusstsein und verbessern die Konzentration.

Eine eingehende Aufklärung der Betroffenen und ihrer Familien, zum Beispiel in sogenannten psychoedukativen Gruppen, ist wesentlich, damit sich alle Beteiligten mit der Störung und mit realistischen Heilungsaussichten auseinandersetzen können. Dass Helfer, Angehörige und Betroffene dabei regelmäßig unterschiedliche Anliegen entwickeln, gilt respektvoll anzuerkennen. Manchmal ist Familientherapie hilfreich, um Schuldgefühle, Schuldzuweisungen oder Konflikte in der Familie abzubauen. Ein ruhiges, nüchternes Familienklima kann Rückfälle verhindern.

Arbeitseingliederungsmaßnahmen oder Pensionierung können angezeigt sein. Ein gesellschaftliches Klima, in dem Betroffene auf möglichst wenig Vorurteile und Ausgrenzung stoßen, ist ebenfalls hilfreich und kann von jedem Menschen mitgetragen werden. Mit Hilfe dieser vielen gezielten Maßnahmen gelingt heute eine erstaunlich große Zahl von Heilungen oder wesentlichen Besserungen, auch nach Jahren. Dass Schizophrenie unheilbar sei, ist ein überholtes Vorurteil.